gartentherapie - theoriearbeit

March 24, 2018 | Author: Gisela Posch | Category: Gardens, Psychiatry, Unconscious Mind, Psyche (Psychology), Definition


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Gartentherapie – ein zukunftsweisender Ansatz?Theorieprojekt Gisela Posch (Matrikelnr. 226008) HS Fulda, basa-08 Dozentin: Prof. Helen Knauf Minden, August 2010 2 Inhaltsverzeichnis: Einleitung...................................................................................................... 3 Begriffsklärung ............................................................................................ 3 Voraussetzungen .................................................................................... 3 Definition ................................................................................................. 4 Unterscheidung....................................................................................... 5 Die Geschichte der Gartentherapie ............................................................ 6 Die Entdeckung der Gartenarbeit zur Beschäftigung und Therapie psychisch kranker Menschen.................................................................. 6 Gartenarbeit und Gartengestaltung im Strafvollzug ................................ 8 Klinische Rehabilitation durch Gartentherapie ........................................ 9 Gärten für Menschen mit Behinderung ................................................. 10 Gartentherapie für die Geriatrie ............................................................ 11 „Sinnesgärten“ ...................................................................................... 12 Gärten für Gemeinschaften................................................................... 12 Vom Kindergarten zum Garten für Kinder ............................................. 13 Zusammenfassung ............................................................................... 16 Der Garten als therapeutisches Medium ................................................. 16 Zur physiologischen Wirkung von Gärten und Pflanzen ....................... 16 Die Symbolik des Gartens .................................................................... 17 Die Psychologie des Gartens................................................................ 19 Der Garten als Schule der Wahrnehmung ............................................ 20 Gartenarbeit als Therapie ..................................................................... 21 Anwendungsbereiche der Gartentherapie ............................................... 23 Wer wird Gartentherapeut? ....................................................................... 24 Schwierigkeiten und mögliche Probleme ................................................ 26 Zur Zukunft der Gartentherapie ................................................................ 28 Schlusswort................................................................................................ 28 Literaturangaben: ...................................................................................... 29 3 Einleitung „Gartentherapie“ ist ein Begriff, der unterschiedliche Assoziationen weckt und auch unterschiedliche Bedeutungen haben kann, je nachdem, wer ihn in welchem Zusammenhang anwendet. Die Entwicklung in diesem Bereich in Deutschland sowie in vielen Ländern der Welt erscheint mir bemerkenswert. Aufgrund meiner Ausbildung zur Gärtnermeisterin, sowie aufgrund persönlichen Interesses am therapeutischen Aspekt von Naturerfahrung und Landschaftswahrnehmung, fühle ich mich prädestiniert, im Rahmen meines Studiums die Relevanz und das Potential der „Gartentherapie“ für die soziale Arbeit zu beleuchten. Im Vorfeld erscheint es unbedingt nötig, unterschiedliche Ansätze der „Gartentherapie“(engl. „horticultural therapy“) darzustellen und zu unterscheiden, um mich im Rahmen dieser Arbeit vor allem der Fragestellung zu widmen, welche Bedeutung diese unterschiedlichen Aspekte für Tätigkeiten der sozialen Arbeit haben. Abschließend möchte ich versuchen, in Deutschland zur Zeit absehbare Entwicklungen auf diesem Sektor zu erkennen und mögliche Probleme aufzuzeigen. Begriffsklärung Voraussetzungen „Gartentherapie“, engl.„Horticultural Therapy“ oder „Garden Therapy“ hat in den verschiedenen Regionen der Welt, in denen sie „entdeckt“ wurde und eingesetzt wird, aufgrund der verschiedenen Anwendungsbereiche unterschiedliche Ausprägungen und eine unterschiedliche Bedeutung. Während beispielsweise in den Niederlanden besonderes Augenmerk auf die Gestaltung rollstuhlgerechter Gärten gelegt wurde, um Menschen mit körperlichen Einschränkungen mit Hilfe speziell entwickelter Werkzeuge die Gartenarbeit zu ermöglichen („aangepast tuinieren“), entdeckte man in den USA und Canada die wohltuende und anregende Wirkung grüner Lebensräume in der medizinischen Rehabilitation, sowie der Gartenarbeit als gemeinschaftsstiftende und das soziale Denken fördernde Tätigkeit in verarmten Stadtgebieten mit hohem Anteil an Migranten und arbeitslosen Menschen. In Deutschland und Österreich gab und gibt es zahlreiche landwirtschaftliche und gärtnerische Projekte für Menschen mit vorwiegend geistiger Behinderung, häufig in sozialtherapeutischen Einrichtungen mit antroposophischem 4 Hintergrund1. In den letzten Jahren wird „Gartentherapie“ auch zunehmend in der Geriatrie und Psychiatrie sowie im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen im Strafvollzug eingeführt, die ich an späterer Stelle beschreiben möchte. Dieser Vielfalt an unterschiedlichen Bereichen der „Gartentherapie“ lassen sich noch zahlreiche weitere Beispiele hinzufügen. Gemeinsam ist allen Formen der „Gartentherapie“ die gezielte und bewusste Anwendung des Mediums Garten2 als therapeutisches Mittel. Definition Versuch einer Definition in einer Diplomarbeit aus 2003: „Gartentherapie ist eine Therapieform, bei der durch zielgerichtete Aktivitäten mit Pflanzen eine physische und psychische Verbesserung des Gesundheitszustandes der Patient/innen erreicht und die Lebensqualität erhöht wird. (Sie)…kann als aktive sowie als passive Therapie angewendet werden“ (Siedler S.3). Die Verwendung des Wortes „Patient“3 lässt den Schluss zu, dass an eine Anwendung im klinischen Bereich oder in der klinischen Rehabilitation zu denken ist. Diese Definition genügt daher nicht, um die sozialen und psychologischen Aspekte der „Gartentherapie“ zu definieren. Zur angedeuteten Aufteilung in „aktive und passive Therapie“. könnte eine Klärung des Begriffs „Therapie“ beitragen: Die Übersetzung des griechischen Wortes „therapeiá“ lautet: „Dienen, Heilen, Pflegen“. Der Begriff beschreibt also eine Tätigkeit, was die Unterscheidung in „aktive und passive Therapie“ unsinnig erscheinen lässt. Gemeint ist in diesem Fall der Unterschied zwischen gärtnerischer Tätigkeit und dem Aufenthalt in einer von Gärtnern bewusst gestalteten Umgebung. Dabei bleibt offen, ob es sich beim „Therapeuten“ um einen (oder mehrere) anderen Menschen handelt oder, ob die heilende Wirkung vom Garten selbst ausgeht. Auch Selbsttherapie ist möglich. Die „Gesellschaft für Garten und Therapie“ (GGuT) schreibt auf ihrer Internetseite: „Gartentherapie ist ein Prozess, bei dem gärtnerische Tätigkeiten eingesetzt werden, um Körper, Geist und Psyche des Menschen zu fördern und sein Wohlbefinden in seinem direkten Lebensumfeld zu stärken. Sie ist eine effektive Methode für Menschen aller Altersgruppen, unabhängig von ihren körperlichen Fähigkeiten und ihrer sozialen Herkunft“ Dieser Definition möchte ich mich anschließen, da sie sich an alle Klienten der Gartentherapie wendet und alle mir bekannten unterschiedlichen Ausformungen zulässt. 1 „Antroposophie“ : die von Rudolph Steiner (1861-1925) gegründete christlich-mystische Weltanschauung mit sozialem und kulturellem Engagement 2 Pflanzen, die in Gewächshäusern oder in Pflanzgefäßen gezogen werden, sollen hier als Sonderform des „Gartens“ gelten dürfen 3 Ich verwende in dieser Arbeit der Einfachheit halber jeweils die männliche Form vieler Berufs- und Personenbezeichnungen. Gemeint sind selbstverständlich jeweils auch die weiblichen Personen! 5 Unterscheidung Deutlich unterscheiden kann man gartentherapeutische Anwendungen nach ihren Zielgruppen (Kinder, Menschen mit Handicap, Patienten mit unterschiedlichen Diagnosen, alte Menschen mit und ohne Demenz, Bewohner sozial benachteiligter Stadtteile, Besucher im öffentlichen Raum, stressgeplagte Firmenmitarbeiter, psychisch erkrankte Menschen u. a.) sowie daran, ob der angesprochene Personenkreis selbst im Garten arbeitet, eventuell auch aktiv an der Planung und Gestaltung des Gartens beteiligt ist, oder einen kontemplativen, vorwiegend wahrnehmenden Zugang zum Garten erhält. Obgleich ein Garten per se eine wohltuende Wirkung auf seine Betrachter und Besucher haben kann, legen die Entwickler und Verfechter der „Gartentherapie“ großen Wert darauf, neben der einfühlsamen und fachgerechten Gestaltung der Gartenanlage die aufmerksame und unterstützende Begleitung und Betreuung von Klienten zur Aufgabe geschulter „Gartentherapeuten“ zu machen und die Definition von „Gartentherapie“ davon abhängig zu machen, ob eine entsprechende therapeutische Begleitung stattfindet. Die vorhandenen Lehrgänge für „Gartentherapeuten“ im deutschen Sprachraum stehen grundsätzlich sowohl einem medizinisch oder pädagogisch geschultem Personenkreis, wie auch Gärtnern und Landschaftsplanern offen. Sie verstehen sich aber lediglich als „Weiterbildung“ und entbehren (noch) das Profil einer Berufsausbildung, wie etwa der „Ergotherapie“. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. 6 Die Geschichte der Gartentherapie Da sich die „Gartentherapie“ in sehr verschiedene Bereiche der sozialen (und klinischen) Arbeit aufteilt, betrachte ich die mir zugänglichen Informationen zunächst nach Schwerpunkten getrennt, wenngleich sich einige Gebiete überschneiden. Die unterschiedlichen Ausformungen der therapeutischen Gärten und Therapien im Garten sollen übersichtlich dargestellt werden. Der Leser soll über die Anwendungsgebiete der Gartentherapie ein Überblick gewinnen und mögliche zukunftsweisende Aspekte erkennen können. Die Entdeckung der Gartenarbeit zur Beschäftigung und Therapie psychisch kranker Menschen Ein Wegbereiter der Gartentherapie in Deutschland, der Pädagoge und Gärtner Konrad Neuberger, sieht den Ursprung dieser Methode bereits in der arbeitstherapeutischen Behandlung psychisch erkrankter Menschen durch den römischen Arzt Galen von Pergamon (129-199 n.Chr.) sowie in Marokko und Persien, den arabischen Vorbildern für das Hospital von Saragossa/Spanien, deren Stifter bereits 1425 „suchten, den Verirrungen des Geistes eine Art Gegengewicht entgegenzustellen, nicht nur durch mechanische Arbeiten, sondern auch durch den Zauber und den Reiz, welchen der Feldbau durch den natürlichen Instinkt einflößt, der den Menschen antreibt, die Erde fruchtbar zu machen und auf diese Art für seine Bedürfnisse zu sorgen“ (Neuberger in Callo/Hein/Plahl S. 75). Psychisch kranke Menschen wurden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts für unheilbar betrachtet (abgesehen von Exorzismus und Hexenverfolgung) und wurden eingesperrt oder in klösterlichen Einrichtungen dauerhaft untergebracht Philippe Pinel (1745-1826) und sein Schüler Esquirol (1772 – 1840) leisteten in Frankreich Pionierarbeit, entwickelten in Paris die Idee der Beschäftigungsbehandlung von „Irren“, befreiten psychisch Kranke von ihren Ketten und legten den Grundstein für die moderne Psychiatrie. Als Reformer der „Irrenbehandlung“ schlug Johann C. Reil (1759-1813) vor, „die geeignete Anstalt müsse Ackerbau, Viehzucht und Gärtnerei besitzen“. Die meisten Anstaltspsychiatrien, sowie auch „Heil- und Pflegeanstalten“ im deutschen Sprachraum des 19. Jahrhunderts verfügten über „Oekonomien“ zur Selbstversorgung und Beschäftigung. Aus den „agricolen Kolonien“, die in Belgien ansatzweise schon seit dem 14. Jh. bestanden, entwickelten Koeppe und Albrecht Paetz in Altscherbitz eine „koloniale Anstalt“ mit „offen- Tür System“, die bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges als Modell für viele nachfolgend geplante Anstalten im In- und Ausland diente. Hermann Simon, als Leiter der Anstaltsklinik in Gütersloh und Begründer der Arbeitstherapie bekannt, empfahl „Im Vordergrund der 7 Krankenbeschäftigung muss, wie von jeher, die Beschäftigung im Freien, mit Garten- und Feldarbeit stehen“. Simon erzielte bemerkenswerte therapeutische Erfolge, und seine Idee der „aktiveren Krankenbehandlung“ wurde in der Schweiz, in England und in den Niederlanden rasch aufgegriffen (vgl.ebd.S.76 ff). In den USA hatte der Arzt Benjamin Rush (Philadelphia) 1812 über die positiven Auswirkungen von Gartenarbeit bei psychisch Kranken berichtet (vgl. Scheiblhofer S.9). Hier entstand fünf Jahre darauf das „Friends Asylum“, in dem Patienten Obst und Gemüsebau betreiben konnten. 1879 wurde dafür das erste Gewächshaus für therapeutische Zwecke errichtet. Seit 1919 wurden auf Initiative der „Menninger Foundation“ auch in Kansas Gartenprojekte in die Therapie psychiatrischer Patienten integriert (vgl. ebd.). Bereits 1936 wurde Gartentherapie von der „Association of Occupational Therapists“ in die Liste der anerkannten Therapien aufgenommen (vgl.Siedler S.4). 1942 wurden erstmals Kurse am Milwankee Downer College angeboten. Zur gleichen Zeit pervertierte das nationalsozialistische Regime Deutschlands unter dem Motto „Arbeit macht frei“ den Sinn der Arbeitstherapie in der Psychiatrie und reduzierte sie auf ihren wirtschaftlichen Nutzen. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs geriet folglich in Deutschland und Österreich jede Arbeitstätigkeit psychiatrischer Patienten in den Verdacht der „Zwangsarbeit“ und wurde abgeschafft. Gärtnereien wurden ausgegliedert und verkauft oder der Verwilderung preisgegeben4. Die Entwicklung spezifischer Verfahren in der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen, wie die Psychochirurgie, Pharmakotherapie, Psychoanalyse, Familientherapie und Sozialpsychiatrie, sowie auch der Wandel der Arbeitsund Ernährungsgewohnheiten nach dem zweiten Weltkrieg ließen die landwirtschaftliche und gärtnerische Arbeitstherapie zunehmend unattraktiv und unökonomisch erscheinen. Industrielle und kreative Arbeitstherapien wurden eingeführt. 1953 wurde bereits die erste Schule für Beschäftigungstherapeuten – nach dem Berufsbild des „occupational therapist“- in Hannover gegründet. Gärtnern und die Landwirtschaft aber galten als tendenziell ausbeuterisch und nicht mehr zeitgemäße Arbeitsformen (vgl. Niepel in: Berting-Hünecke et al. S.23) Erst als sich herausstellte, dass die verschiedenen Verfahren, einschließlich der Psychopharmaka für sich allein nicht ausreichten, Probleme der Selbstisolation, des Antriebsmangels und der Sinnfindung – trotz verstärkt eingeführter industrieller Arbeitstherapie - zu bewältigen, wurde Mitte der 1980er Jahre begonnen, Gartenbau und Landwirtschaft als Arbeitstherapie wieder einzuführen (vgl. Neuberger in: Callo/Hein/Plahl S.84). Viel früher hatte diese Entwicklung in den USA stattgefunden. Die Sozialarbeiterin Alice Burlingham entwickelte 1951 ein Gartenbauprogramm in einer geriatrischen Abteilung. 1959 begann man am New Yorker Medical Center mit einem interdisziplinären Gartentherapieprojekt. 4 Ein eindrucksvolles Beispiel sind die ausgedehnten Obstanlagen (45ha) der Psychiatrischen Klinik „Am Spiegelgrund“ (heute: „Otto Wagner Spital“) in Wien, die nach über 30 Jahren einem städtischen Bauprojekt zum Opfer fallen sollten, aber auf Initiative der Stadtbewohner (Volksbefragung) seit 1982 der Öffentlichkeit als Park zur Verfügung stehen. 8 1973 wurde in den USA die „American Horticultural Therapy Association“ gegründet und ein „Journal of Therapeutic Horticulture“ herausgegeben (Scheiblhofer S.9). In Großbritannien wurde mit Gartentherapie in den 1970er Jahren begonnen, und sie verfügt heute über etablierte Organisationen sowie staatlich anerkannte Ausbildungsmöglichkeiten5. Die Niederlande folgten etwa zehn Jahre später. V. Schumann besuchte im Rahmen ihrer Diplomarbeit „Gartenarbeit als Methode des Empowerments für Menschen mit psychischer Erkrankung“ (FH Esslingen, 2005) mehrere Einrichtungen für Gartentherapie in Schottland und England und beschreibt diese als vorbildhaft für das europäische Festland. Im Kapitel „Nachforschungen zum Thema Gartentherapie“ erwähnt sie aber auch einige psychiatrische Krankenhäuser im Süden Deutschlands, deren Gartenanlagen aus dem 19. Jahrhundert stammten und in den letzten Jahren neu gestaltet und für therapeutische Zwecke wiederbelebt wurden (Schumann S. 46 ff.). In den letzten Jahren wurden in Österreich, Deutschland und der Schweiz große Bemühungen unternommen, mithilfe interdisziplinärer und internationaler Zusammenarbeit „Gartentherapie“ auch im deutschsprachigen Raum allgemein einzuführen. Da die gärtnerische Betätigung hervorragend in die Denkstrukturen der deutschen Heilmittelrichtlinien und des Indikationskatalogs „Ergotherapie“ passt6 ,wundert es nicht, dass „Gartentherapie“ 2007 als ergotherapeutische Leistung (E10) in die Klassifikation therapeutischer Leistungen (KTL) des DRV-Bundes (Deutscher Renten-versicherungsbund) aufgenommen wurde (vgl. Berting-Hüneke et al.S.128). Gartenarbeit und Gartengestaltung im Strafvollzug Ob unter dem Motto „Bete und Arbeite“ oder „Arbeit macht frei“: Arbeit (auch Gartenarbeit) wurde im Strafvollzug bis in die jüngste Zeit nicht als Therapie, sondern als ökonomische Beschäftigung der Gefangenen betrachtet. Gartenarbeit im Strafvollzug galt bis ins 20.Jhdt. hinein als Zwangsarbeit und wurde in vielen Fällen auch in diesem Sinne ausgeführt. Ehemaliger Bewohner von Besserungsanstalten und Heimkinder erheben heute schwere Vorwürfe, wie Martin Mitchel (ehemaliger Insasse einer sozialen Einrichtung für Wohnungslose, Suchtkranke und Jugendliche „in schwierigen Lebenssituationen” in Freistatt am Wietingsmoor, Niedersachsen): Die "Zwangsarbeit im Moor", "in der Landwirtschaft" oder "im Straßenbau und Parkplatzbau" soll – so wird heute von den damals Verantwortlichen und auch von ihren heutigen Rechtsnachfolgern behauptet – „Therapie" für die Jungens gewesen sein. Die Bescheinigungen zur „Arbeitsfähigkeit", jedoch, wurden von 5 6 siehe: www.thrive.org.uk Vereinbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen mit den Verbänden der Heilmittelerbringer 9 keinem Facharzt, Psychiater, Psychologen oder zumindest einem Pädagogen ausgestellt oder die „Zwangsarbeit" von Fachleuten empfohlen“ (Strotzki S.1). Erst nach der Befreiung vom Zwang und im Zuge der Erforschung des therapeutischen Potentials gärtnerischer Tätigkeit begann man in den USA, Canada, Großbritannien und seit einigen Jahren auch in Deutschland, mit Strafgefangenen gartentherapeutisch zu arbeiten (vgl. Berting-Hüneke et al. S.112 ff.). In den USA gibt es bereits zahlreiche Programme zur Beschäftigung und Ausbildung von Strafgefangenen im gärtnerischen und landwirtschaftlichen Bereich (vgl. Flagler S.203). Unter dem Titel „Greenfinger“7 wurde im Jahr 2000 die Entwicklung eines verurteilten Mörders im offenen Strafvollzug der Leyhill Anstalt in Cotswold vom resignierten Gefängnis-insassen zum preisgekrönten Meistergärtner verfilmt und „salonfähig“ gemacht (vgl. Deitz). Klinische Rehabilitation durch Gartentherapie Lange vor der Entdeckung von „Wellness“ und „Horticultural Therapy“ wurden spezifische Aspekte der Landschaft aufgrund ihrer besonderen Wirkung als Quelle von Erholung und Genesung, geschätzt. Es scheint, als hätte sich verdrängtes Wissen aus lange erloschenen, naturnah lebenden Gesellschaften in Form von Mythen, Symbolen und Träumen in das Unbewusste des Menschen eingeprägt und, als setzte es sich in seinen Bedürfnissen fort. In allen menschlichen „Hochkulturen“ war der Garten als Erholungsraum Vorrecht einer privilegierten Minderheit. Diese Gärten bestanden aus Landschaftselementen, die dem Wohlbefinden der Besitzer dienlich waren, ohne, dass diese sich dafür anstrengen mussten. Kur- und Badeanstalten boten Genesenden, abgesehen von heilsamen Quellen, harmonische, farbenfrohe und duftende Gärten mit vielfältigen Blüten, Früchten und Blättern. Dass es sich nicht um reinen „Luxus“ handelte, sondern oft um die bewusste Belebung der Selbstheilungskräfte, die Beeinflussung psychosomatischer Prozesse und das Aktivieren aller Sinnesorgane der Besucher, wurde erst in den letzten Jahren wissenschaftlich erforscht und durch Studien belegt. Als Beispiel seien die Psychologen Rachel und Stephen Kaplan von der Universität Michigan genannt (Relf S. 125 ff.), sowie die Arbeit des Architekten Roger S.Ulrich an der Texas University (vgl. Ulrich), die den Unterschied der Genesungsraten von Patienten mit und ohne „Grün“ messbar machten. Die positive Auswirkung von Pflanzen in der Umgebung kranker Menschen wird manchmal auch ergänzt durch begleitete gärtnerische Übungen als aktivierende Beschäftigung, bei der die Gedanken auf sinnstiftende, praktische Tätigkeiten fokussiert, Schmerzen bisweilen vergessen und neue Bewegungen ausprobiert werden (vgl. Berting-Hüneke et al. S. 133). 7 http://www.metacafe.com/watch/4188237/greenfingers_movie_trailer, 15.08.2010 10 Im Klinischen Bereich arbeiten Gartentherapeuten heute eng mit Physiotherapeuten und Ärzten zusammen. Am „Rusk Institute of Rehabilitational Medicine“(New York) wurde 1959 ein Garten für die Patienten eingerichtet, der bereits mehrfach erweitert wurde und sich heute, angegliedert an das NYU Medical Center, als „Enid A. Haupt Glass Garden“ der Öffentlichkeit präsentiert und zahlreiche individuelle Programme anbietet. Nancy Chambers, die Leiterin dieser Einrichtung, erwähnte im Gespräch (Grünberger Gartentherapietage, Sept.2009), dass die wohltuende Wirkung des Gartens keinesfalls nur den Patienten vorbehalten ist, sondern, dass er auch für die Mitarbeiter der Klinik ein Ort der Erholung und Ruhe ist8. Gärten für Menschen mit Behinderung Wenn mit Gartentherapie die Gartenarbeit mit Menschen gemeint ist, die mit körperlichen Behinderungen leben, geht es in erster Linie darum, den Betroffenen das Gärtnern durch verschiedene Anpassungen möglich zu machen. Als Vorreiterin der Gartentherapie in England gilt die Gärtnerin Mary Chaplin, die in Zusammenarbeit mit der „Disabled Living Foundation“ im Londoner Battersea Park einen angepassten Garten für den „Garden Club of Handicapped People“ anlegte, der viel Aufmerksamkeit erregte und 1978 zur Gründung der „Society for Horticultural Therapy and Rural Training“9 führte. Zahlreiche weitere Gärten entstanden und Bücher wurden publiziert. „The easy Path to Gardening“10, das erste Buch zu dieser Thematik, wurde auch in den Niederlanden aufmerksam gelesen und die Idee begeistert übernommen (vgl. Schaier S. 110 ff.). Die Arbeitsgruppe „Aangepast Tuinieren“ koordinierte zahlreiche Aktivitäten an Schulen, Rehabilitations-Zentren, Altersheimen, Pflege- und Blindenheimen und errichteten 13 Behindertengärten. Zahlreiche große Projekte wurden in den 1980er Jahren gegründet, wie das „Land zonder Drempels“ am Flevohof, das Aktivitäten-zentrum Aalsmeer, die Stiftng Werkenrode in Groesbeek, der Therapiegarten des Reha-zentrums „Kastanjehof“, Apeldoorn und viele mehr (vgl. ebd.). Angepasste, „behindertengerechte“ Gärten nach dem Vorbild der Niederländer und Briten werden auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz gebaut, als ergotherapeutische Angebote oder als „Sinnesgärten“ Gartenbau und Landwirtschaft als sinnvolle Beschäftigung für Menschen mit geistiger Behinderung war zunächst nur als wirtschaftliche Absicherung und zur Selbstversorgung gedacht. Ein großer Teil dieser Betriebe arbeitet nach den Richtlinien des biologischen Landbaus, allen voran die sozialtherapeutischen Einrichtungen mit antroposophischer Ausrichtung, etwa die „Camphill“ Gemeinschaften. In Deutschland bieten heute zahlreiche geschützte 8 Diesen Aspekt der „indirekten Wirkung“ halte ich für einen bemerkenswerten zusätzlichen Vorteil der Gartentherapie. 9 seit 1990: “thrive” 10 „The easy Path to Gardening – For All Who Want to go on Enjoying a Rewarding Hobby“, A.S.White, London 1972, wurde 1980 ins Niederländische übersetzt. 11 Werkstätten für Menschen mit Behinderung (auch) in landwirtschaftlichen/gärtnerischen Betrieben Arbeitsplätze an und erhalten dafür staatliche Förderungen (Hassink et al. S.201). Anders als in englisch-sprachigen Ländern ist die Bezeichnung „Gartentherapie“ in diesem Zusammenhang nicht üblich. Unter dem Titel „Green Care in Agriculture“ veranstaltet die „European Cooperation in Science and Technology“ (COST) seit einigen Jahren gemeinsame Konferenzen, um den wissenschaftlichen Austausch und die Zusammenarbeit innerhalb Europas auf dem Gebiet gärtnerischer und landwirtschaftlicher „Menschenpflege“(„Social Farming“ and „Green Care“) zu verbessern11. Gartentherapie für die Geriatrie Die Entdeckung der Gartentherapie für die Geriatrie fand zeitgleich mit der Entwicklung angepasster Gärten für Menschen mit Behinderung zunächst in den USA/Canada (nach dem 2. Weltkrieg), Großbritannien und den Niederlanden (seit den 1970er Jahren) statt. Das Interesse an der Gestaltung von Gartenanlagen, die den besonderen Bedürfnissen älterer Menschen entgegenkommen, war auch im deutschsprachigen Raum groß und führte zur Planung spezieller Gärten für Senioren mit dauerhaften Einschränkungen des Bewegungsapparates, mit Demenzerkrankung sowie in der Phase der Sterbevorbereitung. In diesem Zusammenhang bietet Gartentherapie eine große Vielfalt an Möglichkeiten, sowohl im ergotherapeutischen Sinn, als aktivierendes und anregendes Element der Tagesstruktur und des sozialen Lebens, aber auch als beruhigendes, ästhetisches Gestaltungsmittel mit hohem Erinnerungs- und Symbolwert und antidepressiver Wirkung. Am „Geriatriezentrum am Wienerwald“ entstand 2001 eines der ersten Gartentherapieprojekte in Österreich unter der Leitung des Arztes und Psychotherapeuten Dr. Fritz Neuhauser, das sehr ausführlich dokumentiert wurde (und wird). Durch zahlreiche Studien und Forschungsergebnisse ermutigt, beginnen auch in der Schweiz und Deutschland immer mehr Pflegeeinrichtungen und Wohnheime für alte Menschen, Gärten und Pflanzen in ihre Beschäftigungsangebote aufzunehmen und der Gestaltung ihrer Grünanlagen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. 11 Die Abschlusskonferenz mit dem Titel „5 European COST 866 Conference in Green Care in Agriculture – Advancing Our Knowledge of Green Care in Agriculture - The State of the Art and Future Directions“ findet von 24.-26.August 2010 in Witzenhausen/ Hessen statt ( derzeit einsehbar unter http://www.sozialelandwirtschaft.de/petrarca_media/versnstaltungen/finalprogramme1007.pd f, am 14.08.2010). th 12 „Sinnesgärten“ Unter dem Begriff „Gärten der Sinne“ oder „Sinnesgärten“ wurden spezielle Gärten geschaffen, die mit oder ohne Begleitung von Menschen mit oder ohne Behinderung genutzt werden können, um die Vielfalt ihrer Sinnesorgane zu erleben und auszuprobieren. Die Besucher dieser Anlagen sollen die verschiedenen Gestaltungselemente mit allen Sinnen – hörend, sehend, riechend, schmeckend, erspürend - bewusst wahrnehmen. Sie werden nicht dazu eingeladen, sich an der Gestaltung, Bearbeitung oder Pflege des Gartens zu beteiligen. Schon vor Jahrhunderten wurden Gärten wurden als Orte besonderer Sinneserfahrung genutzt. Die Burggärten des frühen Mittelalters etwa, reich an erotischen Symbolen (Bach, Brunnen, Baum und Blumenwiese), waren dazu gedacht, den Menschen das Paradies zu versinnbildlichen und ihnen im irdischen Leben einen Hauch davon zu vermitteln(vgl. Graf S. 21). Die Wirkung gestalterischer Elemente auf die menschlichen Sinne wird auch in der asiatischen Gartenkunst stets berücksichtigt, deren System des „Feng Shui“ genaue Anleitungen zur Planung wohltuender und heilsamer Gärten anbietet (vgl. Reichert de Palacio). Philosophische und praktische Anregungen zur Gestaltung von „Sinnesgärten“ gingen im 20. Jahrhundert von Hugo Kükelhaus und Rudolf zur Lippe aus (vgl. Münch). Gärten für Gemeinschaften Die wohltuende Wirkung gärtnerischer Tätigkeit wurde in den USA nach dem zweiten Weltkrieg bei der Arbeit mit Kriegsveteranen neu entdeckt und propagiert. Die pädagogischen und sozialen Effekte des Gärtnerns regten auch Städteplaner und Sozialarbeiter dazu an, in urbanen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und/ oder hohem Anteil an Migranten Gartenprojekte der Einwohner auf ehemals verwahrlosten Flächen zu unterstützen und zu fördern. Mit den „Community Gardens“ wurde vielen benachteiligten Menschen die Möglichkeit gegeben, ihre Umgebung zu Verschönern, sich mit Obst und Gemüse selbst zu versorgen, einer sinnvollen Betätigung nachzugehen, einander in der Gemeinschaft kennenzulernen, für ihre Gärten Verantwortung zu übernehmen und sich im Stadtviertel mehr Lebensqualität zu schaffen. Weitere positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der Bewohner, geringere Verbrechensraten und die höhere Bereitschaft, Bildungsangebote wahrzunehmen, kamen hinzu (vgl. Lewis in: Relf S. 55 ff.). Seit den 1960er Jahren entstanden in den USA und Canada zahlreiche „Community Garden“ Projekte, in denen soziale Schranken überwunden werden und gemeinschaftlich verantwortliches Handeln gelernt wird. Seitdem wurden im ganzen Land zahlreiche derartige Gemeinschaftsgärten gegründet und 13 erfreuen sich gerade in ökonomisch unsicheren Zeiten und im Gedanken an die folgen ökologisch belastender Handlungen („carbon footprint“) großer Beliebtheit. Die Koordination der „Community Gardens“ in USA und Canada hat inzwischen eine Organisation übernommen.12Wie dramatisch der Verlust einer Gartenanlage für Menschen im städtischen Raum mit geringem Einkommen sein kann, zeigt die tragische Geschichte der South Central Farmers von Los Angeles, deren Schicksal dokumentiert wurde und zu starkem Widerstand und medialem Echo führte –leider vergeblich.13 In Deutschland entstanden die ersten „Gemeinschaftsgärten“ auf andere Weise. Mit dem Ziel, Kriegsflüchtlingen aus Bosnien, Äthiopien, Persien, Afghanistan und dem Irak ein Stück „Heimat“ zu geben, entwickelte der Agraringenieur Tassew Shimeles, Leiter des Migrationszentrums in Göttingen, 1995 die Idee der „Internationalen Gärten“, um den Zuwanderern „niedrigschwellig“ den Zugang zur deutschen Sprache in Verbindung mit ihren eigenen erlernten Kompetenzen zu erleichtern. Zwei Jahre später entstand bereits ein zweiter Garten unter der Trägerschaft des Caritas Verbandes (für Familien aus Libanon, Syrien, Kosovo, der Türkei und Palästina).Im Jahr 2002 bewirtschafteten bereits 300 Menschen aus 20 Nationen 12000 m² Fläche für den biologischen Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern (vgl. Müller S.17). Die Idee der „Internationalen Gärten“ wurde durch Publikationen, Vorträge und Präsentationen bekannt und führte zu über hundert ähnlichen Projekten in ganz Deutschland und Österreich, die seit 2003 von der Stiftung „Interkultur“ 14beraten und betreut werden. „Community Gardens“ und „Internationale Gärten“ sind zwar keine gartentherapeutischen Projekte, zeigen aber, dass Gartenbau auch soziale Arbeit und von „therapeutischem“ Wert für die Gesellschaft sein kann. Auch Kleingartenanlagen erfüllen seit über hundert Jahren soziale und gesundheitliche Funktionen im städtischen Raum (vgl. Mail-Brandt S.2). Vom Kindergarten zum Garten für Kinder „Gartentherapie“ für Kinder hat sich noch nicht weitgehend etabliert. Vielleicht, weil es kaum dafür Angebote gibt – im Gegensatz zu tiergestützten Therapieformen, oder zur „Garten“- und „Naturpädagogik“. Kinder und Gärten stehen jedoch in einem auffallenden Zusammenhang aufgrund der Parallelen, die schon sehr früh zwischen Kindererziehung und Gartenarbeit gezogen wurden. Einige Beispiele sollen dies anschaulich machen. Der erste Pädagoge, der eine ausführliche und systematische Anleitung zur Erziehung schrieb, J.A.Comenius (1592-1670), verglich sehr bilderreich die Erziehung von Kindern mit der Aufzucht und Pflege veredelter Obstbäume. 12 Siehe: ACGA, www.communitygarden.org Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=Yhhfr_hIL7A&feature=related http://www.stiftung-interkultur.de/ 13 14 14 Auch Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) griff das Bild des Gartens auf, drückte jedoch seine Ablehnung allzu eifriger Einmischung in die Entwicklung des Kindes aus, indem er das Vertrauen in die natürlichen Anlagen und die selbsttätige Entwicklung zur Reife beschwor. Seine Vorstellung des „gärtnernden Pädagogen“ war romantisch verklärt (vgl. Schenk in: Callo/Hein/Plahl S. 120 ff.). J.H.Pestalozzi (1746-1827) verglich, wie Comenius, den Lehrer oder Erzieher mit einem Gärtner, betonte aber die Orientierung am natürlichen Wesen und Wachstum der Kinder sowie die Überlegenheit des Lernens „an der Natur“ (ebd., S.122). Er betrachtete Gärten als wichtige Zubringer für den Speiseplan von Kindern armer Familien, sah aber auch ihren pädagogischen Nutzen. „Einen eigenen Garten zu besorgen und allenthalben Pflanzen darin zu sammeln, Puppen und Käfer mit Ordnung, Genauigkeit und Fleiß zu sammeln und aufzubehalten, welche Vorbereitung zum bürgerlichen Leben! Welche Zäume für Trägheit und Wildheit!“(ebd. S. 126) Friedrich Fröbel (1782-1852), der als Gründer des Kindergartens gilt, verwendete ebenfalls das Bild des Gärtners für die pädagogische Arbeit. Ähnlich wie bei Rousseau war für ihn das Wesen der Kinder von sich aus gut, und damit der „Garten“ nicht ein von der bedrohlichen Wildnis abgegrenztes Gehege, sondern vielmehr ein Ort des geschützten Wachstums. Fröbel empfiehlt Eltern, ihren Kindern ein eigenes kleines Beet zu überlassen auf dem sie selbst entscheiden können, was sie auf „ihrem“ Stück Land anpflanzen wollen. Er beschrieb eine konkrete Anleitung zur Anlage von „Gärten der Kinder im Kindergarten“ und sah den Garten als eines der wichtigsten Anschauungsmittel (ebd. S. 127) Der Lehrer Heinrich Karl Gesell legte auf einem 1864 gegründeten Spiel- und Turnplatz für Kinder (nach Dr.Daniel.G.M. Schreber als „Schreber-Platz“ benannt) für einen Leipziger Schul- und Erziehungsverein Gärtchen an, in denen Kinder das Gärtnern lernen sollten. Da die Kinderbeete zu schnell verunkrauteten, wurden sie zu „Familienbeeten“ umgeplant, welche später parzelliert und als „Schrebergärten“ bezeichnet wurden. Diese waren Vorbild und Namensgeber für die bekannten Kleingartenanlagen (vgl. Mail-Brandt, S.1) Ein weiteres, beeindruckendes Beispiel für die Bemühung, mit Kindern zu Gärtnern, entstand in Sachsen-Anhalt. Als ausgedehnte Gartenanlagen wurden in Halle an der Saale unter der Obhut Prof. August Hermann Franckes vor über drei hundert Jahren die „Francke’schen Stiftungen“gegründet (vgl. Schwier in: Callo/Hein/Plahl S. 130 ff.). Es handelte sich um einen Pflanzgarten, der einem Waisenhaus und einer Bildungsanstalt zugehörig, aber auch der Universität angegliedert war und aus einem botanischem Garten, einer Obstbaumschule, Küchen- und Bauerngarten, Feldgarten, Apothekergarten, Maulbeerplantage, Obstbaumpflanzungen und einem eigenen Weinberg bestand. Heute beherbergt die Anlage sogenannte Themengärten („Bibelgarten“, „Historischer Garten“, „Garten der Begegnung“, „Garten für alle“) und dient besonders auch als Schulund Ausbildungsstätte. Der „Garten für alle“ ist unter anderem Ausbildungsort für zukünftige Grund- und Sonderschulpädagogen, die in Sachsen-Anhalt das eigenständige Schulfach „Schulgartenunterricht“ (Klassenstufen 1-4 bzw. bis 6) studieren können. Dieser Garten verfügt auch über rollstuhlgerechte Wegebreiten und Auffahrrampen, unterfahrbare Hochbeete mit Duft- und 15 Tastpflanzenabteilungen sowie Etikettierung in Blindenschrift. Die vielfältige Nutzung dieser Gärten lässt die „Franckes’schen Stiftungen“ als besonderes Zentrum der Gartenpädagogik für Kinder mit und ohne Handicap in Erscheinung treten (vgl. ebd. S.136). Abbildung 1: Kinder naschen gern (auch im Schulgarten) In den letzten 20 Jahren entwickelte sich in Deutschland ein Trend zu Naturund Erlebnispädagogik, Waldkindergärten, Schulbauernhöfen und Schulbiotopen mit dem Ziel, Kindern das Leben mit und in ihrer Umwelt bewusst zu machen. Diesem Trend wird in der Ausbildung von Lehrkräften und in der Gestaltung von Lehrplänen (noch) nicht entsprochen. Heute wird Kindern an vielen Schulen und Kindergärten ein stark idealisiertes Bild der Natur vermittelt. Die Ursache dafür sehe ich an der mangelnden praktischen Erfahrung der meisten Lehrkräfte. Mit Ausnahme des Sonderfalls „Waldorfschulen“, in denen „Gartenbau“ zum Curriculum der Mittelstufe gehört, fehlen Schulgärten meistens zur Gänze oder werden nur spärlich bearbeitet15. Vor allem Kinder mit geringem Freizeitangebot im städtischen Raum können von gartentherapeutischen Angeboten profitieren, da dies eine körperliche Tätigkeit mit ganzheitlicher Beanspruchung und vielfältigem Lern- und Erlebniswert ist. Auch in diesem Bereich könnten, wie ich meine, entscheidende Impulse aus den USA und Großbritannien zu erwarten sein. 15 Derzeit betreue ich (als Gärtnermeisterin) eine „Garten-A.G.“ an einer städtischen Grundschule mit sehr hohem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und zeige ihnen, wie man Gemüse, Obst, Kräuter und Blumen zieht. Dabei stelle ich fest, dass die Gruppe gut besucht wird, obwohl die Kinder körperliche Arbeit leisten müssen, welche nicht nur Spaß macht, sondern auch mühsam ist. Sie werden auch schmutzig und begegnen Käfern, Würmern und Spinnen. Dafür werden sie mit den Früchten ihrer Arbeit belohnt. Auch Kinder mit Lernschwierigkeiten oder sozialem Förderbedarf arbeiten eifrig im Garten mit und entwickeln überraschende Kompetenz. Diese Form der Gartenpädagogik halte ich für zukunftsfähig und sozialpädagogisch wertvoll. 16 Zusammenfassung Im Lauf der menschlichen Geschichte wandelte sich unser Verhältnis zur Natur, zum Garten und zur Arbeit im Garten. In vielen Bereichen des heutigen Lebens entwickelt sich aus verschiedenen Gründen ein neuer „Trend zum Grün“, der von wissenschaftlicher Forschung begleitet wird und ausgehend von den USA, Canada und Großbritannien allmählich auch in Deutschland Fuß fasst, wo die negativen Reaktionen auf die nationalsozialistische Pervertierung von Heimatpflege und Naturliebe sowie auf den Arbeitszwang in sozialen und pflegenden Einrichtungen endlich überwunden scheinen. Gartenarbeit und die Begegnung mit Pflanzen sind in unterschiedlichem Verhältnis Bestandteile der Gartentherapie, einem Begriff, der in Deutschland noch nicht allgemein bekannt ist. Ärzte, Psychotherapeuten, Altenpfleger, Gärtner, Landschaftplaner, Architekten, Soziologen und Pädagogen beteiligen sich an interdisziplinären Konferenzen und Schulungen, um im internationalen Austausch Impulse für die einzelnen Anwendungsbereiche weiterzugeben, - vor allem für die Geriatrie/Gerontologie, Psychiatrie, Rehabilitation, Heilpädagogik, Forensik und für die soziale Arbeit. Der Garten als therapeutisches Medium Welche therapeutische Wirkung kann die Begegnung mit einem Garten erzielen und worin liegt diese Wirkung begründet? Dieser Frage möchte ich in zweifacher Hinsicht nachgehen, da sowohl die gärtnerische Tätigkeit als auch die Wahrnehmung und das Erleben eines Gartens für die „Gartentherapie“ von Bedeutung sind. Nicht für alle Zielgruppen kommt aktive Tätigkeit im Garten in Frage. Die psychologische und physiologische Dimension des Erlebens von Gärten spielt hingegen eine zentrale Rolle in allen Formen der „Gartentherapie“. Zur physiologischen Wirkung von Gärten und Pflanzen Der Aufenthalt in einem Garten beinhaltet eine Vielzahl von Eindrücken, die zu Verarbeiten dem Einzelnen obliegen. In der Gestaltung von Gärten für therapeutische Zwecke spielt es eine große Rolle, ob die individuelle Zielgruppe zahlreicher Reize und Anregungen der Sinne bedarf, oder ob eine bewusste Reduktion der Sinneseindrücke angestrebt wird, um den Besucher nicht zu überfordern. Das Angebot reicht von Gerüchen, die durch Berührung, aufgrund selbsttätiger Ausströmung durch die Pflanzen oder im Zuge ihrer Zersetzung verbreitet werden, über taktile Erfahrungen unterschiedlichster Materialien (lebende und abgestorbene Pflanzenteile, Sand, Steine, Holz, Wasser…) und akustische Eindrücke (Vögel, Insekten, fließendes Wasser...) bis zu den vielfältigen Farben und Formen , die das Auge wahrnehmen kann. Pflanzen entwickeln sich weiter, sind den Jahreszeiten und Wachstumsgesetzen 17 unterworfen, verändern sich ständig und bieten dadurch immer wieder neues Anschauungsmaterial, vom keimenden Samen bis zur Blüte und Fruchtentwicklung. Gärten beleben die Sinne, lenken von Schmerzen, Depressionen und kreisenden Gedanken ab, regen zu Aktivitäten an, erhellen die Stimmung und beruhigen das Gemüt. Die Wirkung von Farben auf den Stoffwechsel kann gezielt genutzt werden (vgl. Siedler S. 14): Rote Farbe wirkt demnach aktivierend, appetitanregend, blutdrucksteigernd, aktivierend, fördert aber auch die innere Unruhe. Orange wirkt leistungssteigernd, fördert die Geselligkeit, weckt Arbeitsfreude und vertreibt Depressionen. Gelb gilt als nervenstärkend, konzentrationsfördernd, entkrampfend, stressabbauend und die Verdauung anregend, Blau hat eher entspannende, blutdrucksenkende und beruhigende Wirkung, Violett soll außerdem den Appetit zügeln und Schmerzen lindern. Grün gilt als harmonisierend, vitalisierend, beruhigend, entzündungshemmend, konzentrationsfördernd und Ängste dämpfend (vgl. ebd.). Die kühlende Wirkung schattenspendender Bäume wird im Sommer vor allem von kranken Menschen als angenehm empfunden, auch die Augen werden durch ein grünes Blätterdach vor starkem Sonneneinfall sanft geschützt. Therapeutische Gärten werden meist mit einer Vielzahl duftender Pflanzen bestückt, deren ätherischen Ölen ebenfalls zahlreiche Wirkungen auf den menschlichen Organismus zugeschrieben werden. Diese können als Bodendecker und Duftteppiche begehbar sein(Thymian, Dost, Katzenminze,…), als Beetpflanzen am Wegrand blühen (Rosen, Lavendel, Phlox…) oder in der Nähe von Sitzplätzen ihren Duft verströmen (Geißblatt, Flieder, Nachtkerze…). Gerüche müssen aber nicht „lieblich“ sein. Auch herbe Gerüche, wie Lorbeer, Walnuss-, Rucola-, oder Wacholdergeruch, werden gerne aufgesucht und lösen bei Besuchern oft angenehme Gefühle aus. Besonders belebend wirken Gärten, wenn sie auch zum Kosten einladen, indem sie in erreichbarer Höhe (für Kinder nicht zu hoch, für Rollstuhlfahrer nicht zu tief!) Blätter, Blüten und Früchte anbieten, die essbar sind (z.B. Salatrauke, Kapuzinerkresse, Strauchheidelbeere). Da nicht immer eine stimulierende Wirkung durch den Garten erwünscht ist, können bei der Anlage therapeutischer Gärten auch „Ruhegärten“ geschaffen werden, die zur Besinnung und stillen Erholung einladen(Siedler S. 15 ff.) Pflanzen und Gärten lösen in Menschen häufig Emotionen aus, die mit Erinnerungen oder Träumen zusammenhängen und ihr Verhältnis zum jeweiligen Garten (oder zur Pflanze) beeinflussen können. Gartentherapie muss diese Aspekte alle berücksichtigen. Die Symbolik des Gartens Um die wohltuende Wirkung von Gärten auf den Menschen zu erklären, genügt es nicht, die körperlichen Reaktionen zu messen, da sich die psychosomatischen und psychologischen Zusammenhänge dadurch nicht erschließen. Gärten und Pflanzen (wie auch Landschaften) wirken gleichzeitig als Symbole auf ihre Besucher und lösen dabei unbewusste Assoziationen und Reaktionen 18 aus. Zahlreiche Eigenschaften der Pflanzen regen zu Vergleichen mit menschlichen Erfahrungen an, wie in der asiatischen Dichtung und in der deutschen Romantik besonders deutlich wird: Das Wachstum des Bambus, seine Biegsamkeit, die Kraft und Zähigkeit der Zedern, das zarte, duftende Laub der Linden, die Schönheit und die „Dornen16“ der Rosen sowie das Absterben und neu Erwachen der Pflanzen nach dem Winter. Themen, mit denen sich Menschen beschäftigen, werden im Garten bildhaft wiederentdeckt und zur Sprache gebracht. Die Sprache selbst hilft oft dabei. Wir sprechen davon, dass ein Mensch „aufblüht“, „gut verwurzelt“ ist oder „auf einen grünen Zweig“ kommt. Ideen „sprießen“ und das „zarte Pflänzchen“ einer Beziehung wird gepflegt, die „Saat“ neuer Gedanken „geht auf“ und geleistete Arbeit „trägt Früchte“. Auch Märchen handeln oft von Pflanzen und Gärten („Rapunzel“17, „Schneewittchen“18, „Die drei Männlein im Walde“19…) Blüten besitzen vorwiegend erotische Symbolik, die in den Religionen oft mystisch überhöht wird, (z.B. die Lotosblüte Brahmas oder die weiße Lilie der Jungfrau Maria), doch auch Bäume besitzen symbolische Wirkung, die sich in zahlreichen Mythen widerspiegelt („Yggdrasil“, die germanische Weltenesche, der Bodhi-baum der Buddhisten, der Baum der Erkenntnis im Garten Eden…). Der Begriff des Paradieses20 geht auf die Pairidaeze (von „pairi“-rundherum und „daeza“ – Mauer) der persischen Kalifen zurück, die wie die ägyptischen Tempelgärten nur von „Eingeweihten“ betreten werden durften. Innerhalb dieser Anlagen erfüllten sich die Besitzer den Wunsch nach Abgeschiedenheit und Intimität zusätzlich durch besondere Strukturen wie Pavillons, Lauben oder Grotten. Die Strukturen dieser frühen Gärten weisen archetypische Formen auf (vgl. Schacht S. 71), die sich über viele Jahrhunderte erhalten haben und bis heute in Klostergärten und Bauerngärten zu erkennen sind. Die Kunsttherapeutin Johanna Schacht weist in ihrer Diplomarbeit „Der Garten – gestaltete Paradieserinnerung – kunsttherapeutische Potentiale eines archetypischen Topos“ auf die Zusammenhänge zwischen Mythologie, Symbolen, religiösen Vorstellungen und Ergebnissen der Pränatal-Psychologie und Psychoanalyse hin: „Das verlorene Paradies, das in so vielen Kulturen als Garten vorgestellt wird, kann somit als Verdichtung der positiven (unbewussten) Erinnerungen aus der Zeit im Mutterleib gedeutet werden“(ebd. S.104).Für Schacht ist der Garten ein therapeutischer Regressionsraum, den sie als Motiv für imaginative Techniken wie das „katathyme Bilderleben“ nach Hanscarl Leuner anzuwenden vorschlägt (ebd.S.184 ff.). Meine Vermutungen gehen noch etwas weiter, denn ich halte auch das „Mutterleibs-erleben“ für eine Phase der Verbindung mit phylogenetischen „Vorzeiten“ der Menschheit, in denen die Einheit mit „Mutter Natur“ bestand. 16 17 tatsächlich handelt es sich um „Stacheln“ In diesem Märchen geht es nicht um Feldsalat, sondern vermutlich um „Phyteuma rapunculus“, der Teufelskralle 18 Hätte Schneewittchen nicht in den Apfel gebissen… 19 In diesem Märchen findet ein armes Mädchen mitten im Winter Erdbeeren im Schnee 20 „Garten“ kommt vom indogermanischen „ghordo“ oder „ghorto“, das so viel heißt wie „Flechtwerk“, „Zaun“, „Umzäunung“, „Eingehegtes“ 19 Abbildung 2: Spontane Meditationshaltung eines achtjährigen Mädchens Diese Sehnsucht nach einem „geschützten, geheimnisvollen, heiligen, magischen Ort, zu dem nur wir den Schlüssel besitzen“ (vgl. ebd. S. 72) kann gerade in der heutigen Zeit zu gesteigertem Interesse an „Gartentherapie“ führen. Die Schweizer Architektin, Psychologin und Psychotherapeutin Ruth Amann gibt der Symbolik des Gartens die Bedeutung eines Vermittlers zwischen Mensch und Natur oder zwischen der bewussten Persönlichkeit (repräsentiert durch das Haus) und der unbewussten Natur des Menschen (repräsentiert durch die Wildnis außerhalb des Gartens, das Fremde). Er ist „Ort der Begegnung zwischen beidem, der Ort des Austauschs und der Verbindung, wo die unbewusste Natur bewusst gemacht, gewandelt und damit kultiviert werden kann“( Amann S. 58). Nach den Worten des Biologen und Landschaftsplaners Erwin Frohmann ist die Begegnung mit der Natur „auch eine Begegnung mit Gott, eine Begegnung mit den Zyklen des Lebens, beginnend mit der Keimung über die Blütenbildung bis hin zur Frucht- und Samenbildung. Die Metamorphose der Natur steht für die Metamorphose des menschlichen Lebens, wodurch die Identität von Natur und Mensch in einer symbolhaften Erfahrung miteinander verschmelzen“ (Frohmann S. 176). Die Psychologie des Gartens Der Einfluss symbolischer Wahrnehmung sowie verschiedener Sinneseindrücke von Pflanzen und Gärten auf Menschen wurde bereits erwähnt. Gärten können den Menschen emotional berühren und sein Körperempfinden beeinflussen. Darüber hinaus besitzen Gärten noch weitere Stärken als therapeutisches Medium. Eine davon ist ihr aktivierendes Potential. Gärten machen neugierig und regen zum Entdecken an, denn sie erschließen sich dem Besucher nicht immer auf den ersten Blick. Wenn ein Garten so 20 angelegt ist, dass er durch die Wegeführung und Bepflanzung individuelle Entdeckungsreisen zulässt, ohne Ängste auszulösen, so bietet er ein persönliches Erlebnis, das durch die Veränderungen im Laufe der Jahre und Jahreszeiten immer wieder aufgefrischt und ergänzt werden kann. Gärten bieten Gesprächsstoff und regen zur Kommunikation an. Dazu ein persönliches Beispiel: Nirgends war ich als Kind glücklicher als im Garten meiner englischen Großmutter, und meine Erinnerungen an sie sind eng an die Gespräche im Garten geknüpft, denn hier trafen sich unsere Welten. Ich pflückte ihr bunte Blumensträuße - sie kannte die Namen der Vögel. Ich sammelte Beeren - sie machte daraus Saft, Marmelade und Wein. Gemeinsam unterhielten wir uns über die schönsten Rosen und den besten Salat. Der Garten überbrückte für uns den Altersunterschied. Gärten schaffen auch Gemeinschaft. Unter dem vielsagenden Titel „Wurzeln schlagen in der Fremde“ erzählt die Soziologin Christa Müller von einem 1996 entstandenen Projekt zur Integration von Flüchtlingsfamilien in Göttingen. Diese „Internationalen Gärten“ schufen für die betroffenen Menschen die Möglichkeit, ihre Isolation zu überwinden, indem sie gemeinsam die Erde bearbeiteten, einander Tipps gaben, Saatgut und Ableger austauschten, die Früchte ihrer Arbeit teilten (vgl. Müller). Auch die sozialen Kompetenzen von Kindern werden eingeübt, wie folgendes Beispiel zeigt: Die Beobachter meines in einem „sozialen Brennpunkt“ der Stadt Minden mit Schülern der „Eine Welt Schule“ gestarteten Gartenprojekts wussten, dass in der Umgebung spielende Kinder vieles zerstört hatten, das zur Einrichtung der Schule oder des öffentlichen Spielplatzes gehörte. Daher prognostizierten sie dem Schulgarten keine lange Lebensdauer. Kein Gartenzaun könne unsere Blumen und Kräuter vor Verwüstung schützen – spätestens in den Sommerferien. Das Gegenteil war der Fall! Ich hatte den Kindern häufig Produkte des Gartens zu essen gegeben und erlaubte ihnen, sich im Sommer selbsttätig frische Möhren, Himbeeren und Tomaten zu holen. Sie betrachteten den Garten als „ihren“ und beschützten ihn. Der Garten ist für die Kinder ein Objekt der Identifikation, weil sie eine konkrete, positive Beziehung zu ihm haben. Für ältere Menschen sind Gärten unerschöpfliche Quellen der Erinnerung, die durch olfaktorische und visuelle Reize ausgelöst werden können. Sie bieten ihnen auch eine Abwechslung vom manchmal eingeengten Innenraum der Klinik oder Plegeeinrichtung. Hier können sie die „Seele baumeln“ lassen, die Ruhe genießen, den Alltag vergessen. Dasselbe gilt natürlich für alle Menschen, denen der hektische Lebenswandel unserer modernen Arbeitswelt seelisch und körperlich zur Belastung wird. Der Garten als Schule der Wahrnehmung Der Philosoph und Pädagoge Hugo Kükelhaus (1900-1984) sah den Menschen der technisch-industriellen Zivilisation durch die Überbetonung des Intellekts gegenüber den leiblichen und seelischen Kräften verarmen und aus dem Lot geraten. "Was uns erschöpft, ist die Nichtinanspruchnahme der Möglichkeiten 21 unserer Organe und unserer Sinne, ist ihre Ausschaltung, Unterdrückung ... Was aufbaut, ist Entfaltung. Entfaltung durch die Auseinandersetzung mit einer mich im Ganzen herausfordernden Welt."(siehe: H.Kükelhaus Gesellschaft, Soest) Auch in der Gestaltung therapeutischer Gärten können diese Gedanken hilfreich sein. Gartentherapie kann die Wahrnehmung schulen. Dieser Aspekt wird vor allem, wie ich meine, in der Kinderpädagogik Bedeutung erlangen, weil sehr viele Kinder einen Großteil ihrer Freizeit mit elektronischen Medien verbringen und dabei ihre Wahrnehmungsfähigkeit nur einseitig ausbilden. Die Integration von Raumerfahrung, Gleichgewicht, Hören, Riechen, Sehen und Spüren erfahren und erlernen Kindern am Besten im Garten und in der „freien Natur“(Wald und Wiese).Im städtischen Freiraum brauchen Kinder dafür Möglichkeiten, doch auch viele ländliche Regionen weisen immer weniger Anregung und Vielfalt auf und wären durch die bewusste Anlage „therapeutischer Gärten“ zur Anregung der Sinne bereichert. Abbildung 3: Kinder lieben es, mit allen Sinnen die Natur zu erfahren Menschen, die an psychischen Erkrankungen oder Suchterkrankungen leiden, besitzen zumeist eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit. Gärten können auch für sie Aufforderungscharakter haben, die Aufmerksamkeit zu fokussieren und neue Eindrücke zuzulassen. Menschen dabei zu unterstützen, ihr Wahrnehmungsspektrum zu erweitern, betrachte ich als wichtige Aufgabe von „Gartentherapeuten“ Gartenarbeit als Therapie Die Vorstellung, dass die Arbeit im Garten eine Therapie ist, kann sich nur durchsetzen, wenn eine klare Abtrennung gegenüber „Arbeitsprogrammen“ stattfindet, wie sie etwa in der Berufsvorbereitung oder zur Beschäftigung langzeitarbeitsloser Menschen üblich sind. Unbedingte Voraussetzung für Gartenarbeit als Therapie muss also die Freiwilligkeit sein, was eventuell dazu führen kann, dass unerledigte Pflegearbeiten von zusätzlichen Personen durchgeführt werden müssen. Bei gelungener Organisation lässt sich dieses Problem gering halten. 22 Gartenarbeit kann psychisch entlastend sein: „Die körperliche Arbeit im Freien sowie der sinnliche Umgang mit Dingen, Pflanzen und Tieren können die Wahrnehmung des eigenen Körpers fördern und intensivieren und sind daher besonders gut auch als Maßnahmen zur Krisenintervention geeignet. Schwere Arbeiten wie Rasenmähen, Umstechen, Schaufeln bieten einen starken sensorischen Input, führen zu erhöhter Muskelanspannung, der eigene Körper kann besser gespürt werden und dadurch leichter innerlich zur Ruhe kommen. „Auch aggressiven Impulsen kann produktiv Ausdruck verschafft werden, ohne bedrohlich zu wirken“ (LeclercSpringer)“ (Kellner in: Berting-Hüneke et al.S. 102). Die Arbeit im Garten vermittelt einen konkreten Sinn und ein klares Ziel für Bewegungen und Handlungen, Planung. Sie bietet Gelegenheit, Nähe und Distanz zu anderen auszuprobieren, sowie die Funktionen des Körpers allmählich zu trainieren (vgl. Putz in: ebd. S. 58). Für viele Teilnehmer ist es beglückend, nach getaner Arbeit die natürliche Müdigkeit ihres Körpers zu verspüren. Die Altenpflegerin Maria Putz aus Salzburg arbeitet in einem Wohnheim für Senioren und begleitet unterschiedliche Gruppen im Garten. Sie betont das vorherrschende Empfinden von „Normalität“ der Teilnehmer an der „Interessengruppe Garten“. Gleichzeitig dokumentiert sie die Entwicklung ihrer Klienten in fünf Bereichen. Für alle Bereiche der Therapie wird der hilfreiche Einfluss von Gartenarbeit deutlich beschrieben: Physiologischer Bereich: Entwicklung und Verbesserung der Motorik, Koordination, Gleichgewicht, Anregung der sinnlichen Wahrnehmung…, Kognitiver Bereich: Gedächtnistraining, Entfaltung von Kreativität, zeitliche und räumliche Orientierung, Nachahmung, Sprachverständnis und Sprachausdruck, Lesen und Schreiben… Psychisch-emotionaler Bereich: Kontaktfähigkeit, Selbst- und Fremdeinschätzung, Frustrationstoleranz, Stabilität und Flexibilität, Selbstachtung und Selbstvertrauen, Interesse an der Zukunft, vom Betreuten zum Betreuer werden, Gestalter und Gebender werden… Sozialer Bereich: Kristallisationspunkt Pflanze für Kontakt und Kommunikation, Interaktion, Identifikation mit der Gruppe und der Umgebung, das Tun für sich und andere… Selbstbild und Umgang mit dem Ich: Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit, gebraucht werden, offensichtlich sinnvolles Tun, Motivation, Engagement, Erleben der eigenen Grenzen auch im positiven Sinn… (ebd. S. 65) 23 Diese Aufzählung der therapeutischen Ziele der Gartenarbeit trifft nicht nur für den Bereich der Altenpflege, sondern für alle von mir genannten Arbeitsbereiche der Gartentherapie zu21. Die körperliche Betätigung im Garten kann sehr stimulierend wirken und dazu führen, dass sich die eigenen Grenzen unbemerkt immer mehr erweitern. Der Fokus der Patienten liegt auf den Ergebnissen ihrer gärtnerischen Tätigkeit sowie auf der Freude, die sie dabei empfinden. Viele Menschen identifizieren sich mit der „Arbeit im Garten“: „Die Arbeit am Garten ist immer auch Arbeit an der Natur in uns“ (Niepel in: ebd S. 26). Gartenarbeit ist eine Tätigkeit, die Raum lässt für Individualität. Sie erlaubt es dem Tätigen, in Beziehung mit den Pflanzen, der Erde und mit sich selbst zu treten und dabei seine Kreativität und seine persönlichen Einstellungen sichtbar zu machen: „Unsere Charakterzüge zeigen sich natürlich auch im Umgang mit dem Garten“(Amman S. 135).“ Dabei wird er (sofern er sich mit seinem Garten nicht isoliert) zur Toleranz anderen gegenüber aufgerufen, denn:„…jeder Mensch hat andere Vorstellungen von Ordnung im Garten und auch sonst im Leben“ (ebd. S. 146). Neben der Toleranz und Geduld führt die Gartenarbeit im besten Fall auch zur Selbsterkenntnis, wie im folgenden Beispiel deutlich wird: „Ich moralisiere mich selbst mit meiner Unersättlichkeit an Blumen, bin mir aber gleichzeitig bewusst, dass das alles innere Unersättlichkeiten sind, also mehr mit meinem Seelengarten zu tun haben“ (ebd. S. 137). Anwendungsbereiche der Gartentherapie Wie bereits im Abschnitt zur Geschichte der Gartentherapie erwähnt, wird das Medium des Gartens und der gärtnerischen Betätigung in vielen Bereichen der klinischen, pädagogischen und sozialen Arbeit eingesetzt. Ob und wie sich die Bezeichnung „Gartentherapie“/. „Gartentherapeut“ in Deutschland bzw. im deutschen Sprachraum durchsetzen wird, hängt, wie ich vermute, davon ab, ob sich das Konzept professionell darstellen kann und in den verschiedenen Arbeitsbereichen als eigene Form der Therapie akzeptiert wird. Derzeit wird gärtnerische Arbeit als Therapie angewendet in der Rehabilitation von Menschen mit psychischer Erkrankung, Drogensucht, mit Indikation Psychosomatik, chronischer Krankheit oder lange dauernder Erkrankung, sowie nach Operationen und Verletzungen. Sie wird Menschen mit geistigen und mit körperlichen Einschränkungen angeboten, auch bei „Mehrfachbehinderung“. Für alte Menschen gibt es gartentherapeutische Angebote in Kliniken und stationären Einrichtungen und in Tagespflegeeinrichtungen. Kinder begegnen der „Gartentherapie“ als solche hauptsächlich im klinischen Bereich (Krankenhäuser, Rehabilitationskliniken), doch „gartenpädagogische“ Angebote gibt es in Kindergärten, Schulen und Jugendzentren. 21 Genauere Erklärungen zu den vielfältigen Möglichkeiten (und Grenzen) der Gartenarbeit als Therapie würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 24 Gartentherapie im Strafvollzug ist in Deutschland noch wenig erprobt, doch erste Versuche wurden auch hier unternommen, etwa in der JVA Detmold (vgl. Schmidt in: Berting-Hüneke et al. S. 112 ff). Seit einigen Jahren bietet eine Therapeutin in der Nähe Münchens begleitete Trauerarbeitmit Gruppen im Garten an (vgl. VFFK). „Gartentherapie“ im Sinne der Begegnung mit einem therapeutischen Garten gibt es auch im öffentlichen Raum und damit allen Interessenten zugänglich, vor allem bei Gartenschauen („Aqua Magica“, Bad Oeynhausen), in Themenparks („Gärten der Welt“, Berlin-Marzahn) oder Ausstellungen („Buehler Enabling Garden, Chicago). Dabei stellt sich die Frage, ob alleine die Absicht, einen Garten therapeutischen Zwecken zu widmen, den Besuch des Gartens zur „Therapie“ macht, oder ob nicht eine Wanderung in „freier Natur“ genauso (oder noch viel mehr) „therapeutisch“ wirken kann. Hier handelt es sich, wie ich meine, um ein Identitätsproblem der „Gartentherapie“ auf das ich an späterer Stelle zu sprechen komme. Wer wird Gartentherapeut? In Großbritannien sowie in den USA ist es üblich, eine einschlägige Ausbildung im sozialen oder pflegerischen Bereich zu machen und sich als „horticultural therapist“ weiter zu bilden, nachdem man in diesem Bereich mindestens ein Praktikum absolviert hat. Auf mehreren Colleges und Hochschulen gibt es ein Curriculum für Gartentherapie, das unterschiedlich lange dauert. Die American Horticultural Therapy Association AHTA sowie die Royal Horticultural Society und thrive in Großbritannien erteilen ein Zertifikat. Derzeit besteht keine Verpflichtung zu einer zertifizierten Ausbildung, doch kann sie zur Einstellungsvoraussetzung bei der Suche nach einer Arbeit als „horticultural therapist“ werden. In den Niederlanden besteht seit 2000 ein Lehrgang für creatieve therapie tuin an der Hochschule Utrecht. In Deutschland bieten einige Träger einschlägige Lehrgänge und Weiterbildungsseminare an. An die Zielgruppe „GärtnerInnen, ErgotherapeutInnen, ErzieherInnen, AltenpflegerInnen, GartenbauingenieurInnen, PsychotherapeutInnen aller Verfahren, PädagogInnen, SozialpädagogInnen, PhysiotherapeutInnen, KrankenpflegerInnen und Interessierte“ richtet sich das „Kompaktcurriculum Integrative Gartentherapie“ (IGT) am EAG-Fritz Perls Institut in Hückeswagen. An der Akademie Merzig im Saarland besteht ein Weiterbildungs-Studiengang „Gartentherapie“. Der Diözesanverband der Caritas in Köln organisierte 2008 eine Weiterbildung für Gartentherapie in der Altenpflege An der „Bildungsstätte Gartenbau Grünberg“ finden ebenfalls Weiterbildungen und Tagungen zum Thema statt22. Die berufsbegleitende akademische Fortbildung an der Donauuniversität Krems/ Niederösterreich verleiht den Titel „akademischer Experte für 22 vgl. http://www.bildungsstaette-gartenbau.de/ 25 Gartentherapie“. Dieser Lehrgang richtet sich an Ärzte und Therapeuten sowie Gartenarchitekten und dauert vier Semester. Auch hier zeigt sich die Gliederung der Aspiranten der Gartentherapie in „grüne“ und „weiße“ Berufe23. Falls es nicht zwei verschiedene Arten von Gartentherapeuten geben soll, nämlich „Gärtner mit Fortbildung“ und „Pfleger/Therapeuten mit Fortbildung“ – diese eventuell noch unterteilt in Akademiker (Gartenarchitekten, Landschaftsplaner, Ärzte, Psychologen…) und Nicht-Akademiker (Gärtner, Altenpfleger, Erzieher, Ergotherapeuten…), - so muss sich in absehbarer Zeit ein Gremium bilden, das die Berufsbezeichnung „Gartentherapeut“ genau definiert. Dafür bietet sich, wie ich meine, die im September 2009 gegründete „Internationale Gesellschaft für Gartentherapie“ (IGGT) an, die sich Folgendes zur Aufgabe macht „…die Förderung und Entwicklung gartentherapeutischer Aktivitäten, der Austausch und die Vernetzung der zentralen Akteure, Kommunikation und Verbreitung von Erkenntnissen aus Forschung und Entwicklung, der Aufbau und die Entwicklung von Qualitätssicherung und Evaluation gartentherapeutischer Maßnahmen, die Unterstützung von Bildung und Beratung sowie Repräsentation und Lobbyarbeit für gartentherapeutische Einrichtungen und Aktivitäten.“(vgl. GGuT) Ist Gartentherapie soziale Arbeit? Gartentherapie kann, wie ich meine, als Methode der sozialen Arbeit dienen. Sie bietet Sozialarbeitern, Sozialpädagogen und verwandten Berufsgruppen bei entsprechender Weiterbildung ein praktisches Betätigungsfeld mit vielfältigen, individuell variierbaren, Möglichkeiten. Die Betonung liegt hier auf Klienten im nicht-klinischen Bereich, wie Teilnehmer von Programmen zur sozialen Rehabilitation und Integration, oder Kinder und Jugendliche. Damit kann Gartentherapie ein Arbeitsfeld der sozialen Arbeit werden. Gartentherapie ist auch ein Arbeitsfeld, in dem Sozialarbeiter als Mitarbeiter gebraucht werden, etwa zur sozialpädagogischen Begleitung eines Programms. Eine typische Tätigkeit wäre der Aufbau und die Betreuung von Gemeinschaftsgärten24. Die Bezeichnung „Gartentherapie“ ist in diesem Fall eher weit gefasst, doch gerade die „Community Gardens“ und „Internationalen Gärten“ sind ein gutes Beispiel für die gelungene Verbindung von Gärten und sozialer Arbeit. Meine Antwort auf die oben formulierte Frage wäre: „Gartentherapie kann soziale Arbeit sein“, aber auch: „Soziale Arbeit kann Gartentherapie sein“. 23 24 gemeint ist hier die typische Berufskleidung der Gärtner bzw. des klinischen Personals Ein Beispiel hierzu: Der Sozialarbeiter Pietro Basile initiierte und betreut heute den„Interkulturellen Mehrgenerationen-Garten“ in Lippstadt. 26 Abbildung 4: Schautafel des „Internationalen Gartens“, Lippstadt Schwierigkeiten und mögliche Probleme Die vielen möglichen Einsatzgebiete und die breit gefächerten Hoffnungen bezüglich der „Gartentherapie“ sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff allein noch jeder qualitativen Aussage entbehrt und dass die Gefahr eine inflationären „Verwässerung“ des Berufsbildes und einer Degradierung zu einer Modeerscheinung besteht. Gerade der Begriff „Therapie“ impliziert eine Bandbreite an Wirkungen, die zu gut gemeinten aber wenig verantwortungsvollen Experimenten im Umgang mit anvertrauten Personen verleiten könnten, welche nicht nur die hoffnungsvollen Klienten sondern auch den Ruf der Profession dauerhaft schädigen würden. „Der Garten als Therapeut“ sollte nicht überbewertet werden, da je nach persönlicher Biographie und abhängig vom eigenen Befinden (natürlich auch von der Jahreszeit und der Wetterlage) ein Aufenthalt im Garten auch negative Reaktionen hervorrufen kann. Auch die Rahmenbedingungen für das Angebot „Gartentherapie“ können ausschlaggebend für die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme sein. Ein Beispiel: Patienten einer Rehabilitationsklinik für Psychosomatik tragen zum Teil schwere innere Konflikte und traumatische Erlebnisse als körperliche Symptome aus. Gartentherapie könnte helfen, diese Konflikte zu erhellen und greifbar zu machen, jedoch nur, wenn genügend Zeit gelassen wird, sodass ohne Druck gearbeitet werden kann und dem Klienten, wenn notwendig, psychotherapeutische Hilfe zur Verfügung steht. 27 Werden die Klienten mit ihren „aufgewühlten Gefühlen“ alleine gelassen oder aufgrund von Zeitvorgaben nur oberflächlich betreut, so kann die „Gartentherapie“ als sinnlos oder unangenehm empfunden werden25. Gartentherapeuten müssen gut aufgeklärt sein über die möglichen Gefahren durch Allergene und giftige Pflanzen (und Insekten) im Garten. Auch der mögliche Missbrauch pflanzlicher Wirkstoffe als Drogenersatz stellt ein Risiko dar, das bei der Anlage und Betreuung therapeutischer Gärten bedacht werden muss. Im nicht-klinischen Bereich sehe ich für die „Gartentherapie“ die Gefahr einer schleichenden oder versteckten Entwicklung zum „Arbeitsdienst“. Vor allem in größeren landwirtschaftlichen Betrieben könnte es zu einer Tarnung der Beschaffung billiger Arbeitskräfte als „Gartentherapie“ kommen. Vor allem Menschen mit geistiger Behinderung müssen vor solchem Missbrauch geschützt werden, da sie sich kaum dagegen wehren können. Die „Gartentherapie“ muss sich also in ihrem Arbeitsbereich abgrenzen, in ihrer Fachlichkeit definieren und die missbräuchliche Verwendung des Begriffs verhindern. Die Frage, ob sich ein therapeutischer Effekt auch ohne professionelle Begleitung allein durch den Kontakt mit dem Garten/ der Natur feststellen lässt, darf nicht dazu führen, die Gartentherapie grundsätzlich in Frage zu stellen, denn auch in anderen Therapien gibt es Menschen, die sich selbst zu helfen im Stande sind. Hilfe zur Selbsthilfe ist sehr wünschenswert, doch auch diese muss ermöglicht und dokumentiert werden. Die Arbeit im Freien stellt einen begrenzenden Faktor dar: Der Aufenthalt und die Arbeit im Garten ist abhängig von Wetter und Jahreszeiten, erfordert also Anpassung und Flexibilität in der Planung und/oder Ausstattung. Die Einrichtung von Gewächshäusern und überdachten Bereichen im Garten ist mit Kosten verbunden, die nicht immer zur Verfügung stehen. In Gärten werden normalerweise die eigenen Abfälle im natürlichen Kreislauf (Kompost) zu wertvollen Bodennährstoffen verarbeitet. Aus Platzgründen oder „Hygienevorschriften“ wird dieser Prozess bedauerlicherweise häufig nicht ermöglicht. Gerade die Zersetzung organischen Materials und der Aufbau von Humus stellt einen Vorgang dar, den zu Beobachten und Mitzuerleben eine sehr befriedigende Erfahrung sein kann26. Die Schwierigkeiten, Akzeptanz für Mulchschichten und Kompost zu erzielen oder gewohnte „chemische Lösungen“ für den Pflanzenschutz mit dem Hinweis auf Gefahren und Nebenwirkungen abzuschaffen, ist eine zusätzliche Hürde, die engagierte „Gartentherapeuten“ mit ihren Arbeitgebern und Klienten überwinden müssen. Das Gärtnern ähnlich wie die Hauswirtschaft - ist eine Tätigkeit, bei der viele Menschen sich ihre private „Expertise“ angeeignet haben und sich nicht allzu gern von Professionellen hineinreden lassen, vor allem wenn sie über langjährige Erfahrung verfügen. Aus meiner Sicht jedenfalls ist „Gartentherapie“ nur in einem „giftfrei“ gepflegten Garten möglich. 25 26 ähnliche Probleme gelten auch für „Musiktherapie“ oder „Körpertherapie“ Man beachte die Symbolik: Es handelt sich um die „Verdauungsprozesse“ der Erde und um eine Umwandlung vom Tod zu neuem Leben 28 Zur Zukunft der Gartentherapie Aufgrund der Bemühungen um internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit wird sich in den nächsten Jahren das Arbeitsfeld „Gartentherapie“ meiner Vermutung nach auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz etablieren. Dabei wird sich entscheiden, ob die Ausbildung zum „Gartentherapeuten“ weiterhin alle Zielgruppen zusammenfasst (aus dem landwirtschaftlichen und aus dem medizinischen Sektor), oder ob zwei mögliche Ausbildungen entwickelt werden. Die akademischen „Experten für Gartentherapie“, die ebenfalls sowohl Ärzte und Psychologen als auch Landschaftsplaner und Landschaftsarchitekten sind, werden sich wohl weiterhin über ihre Erstausbildungen definieren, da diese in den meisten Fällen mehr Prestige und höheres Einkommen versprechen. Aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsgebiete für „Gartentherapeuten“ wird es nur bedingt zu gegenseitiger Konkurrenz kommen. Die unterschiedliche Eignung aufgrund von Studium oder praktischer Ausbildung wird, wie ich meine, darüber bestimmen, wer welchen Arbeitsplatz bekommt. Möglicherweise wird sich der Begriff auch teilen in „Garten-unterstützte Psychotherapie“ und „gärtnerische Ergotherapie“, um Eindeutigkeit zu schaffen. Auch als Form der Kunsttherapie könnte sich „Gartentherapie“, wie in den Niederlanden, mit der Bezeichnung „kreative Gartentherapie“ durchsetzen. Bei entsprechender wissenschaftlicher Erforschung und Dokumentation/ Belegung der Wirkung könnte Gartentherapie als hilfreicher, ganzheitlicher Ansatz in den erwähnten sozialen und medizinischen Arbeitsfeldern eingesetzt werden. Schlusswort Die Gartentherapie ist in Deutschland noch wenig bekannt, stößt aber zumeist auf positive Resonanz und Interesse von Seiten der Mitarbeiter und Klienten sozialer und medizinischer Einrichtungen sowie von Angehörigen derselben. Viele Menschen scheinen grundsätzlich der Meinung zu sein, dass Gärten gut tun. Konkretere Vorstellungen haben wenige. Deshalb wird sich die „Gartentherapie“ als Profession in den nächsten Jahren auf breiter Basis darstellen und definieren müssen, wenn sie zu einer allgemein akzeptierten Disziplin werden möchte. Der zukunftsweisende Ansatz der „Gartentherapie“ liegt meiner Ansicht nach in einer Weiterentwicklung der ergotherapeutischen und psychotherapeutischen Praxis, und sie liefert praktische Impulse für die Gerontologie/ Geriatrie, sowie für die medizinische und soziale Rehabilitation und für die kommunale Arbeit. 29 Literaturangaben: Amann, Ruth: “Von Gärten und Zwischenwelten”, Zürich 2006. Originalausgabe „Der Zauber des Gartens“ 1999, Kösel Verlag München Barrett,Marilyn: „Creating Eden – The garden as a healing space” San Francisco 1992, iUniverse com Berting-Hüneke, Christa/ Jung, Sandra/ Kellner, Gabrielle/ Neuhauser, Fritz/ Niepel, Andreas/ Putz, Maria/ Schmidt, Winfried/ Scholz, Stefan/ Sieber, Andrea/ Strohmeier, Gerhard/ Weiß, Anke (dt. 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