602Ästhetische Fragmente aber sie muß mit der Sprache zusammenhängen. Hier liegt ein Einwand gegen Mathematik. BALZAC Die Universalität Balzacs (und vielleicht des großen modernen französischen Romans überhaupt) beruht zu einem Teil darauf, daß der französische Geist in metaphysischen Fragen gleichsam nach Art einer analytischen Geometrie verfährt, d. h. er kennt eine Sphäre der prinzipiellen Lösbarkeit der Dinge aus einer Methode - welche die individuelle (gleichsam anschauliche) Tiefe der einzelnen Gegebenheiten nicht anvisagiert, sondern sie auf einem methodischen Wege, auf dem ihre Lösbarkeit schon feststeht, löst. Eine geometrische Aufgabe kann zu ihrer geometrischen Lösung Genie, zu ihrer analytischen nur Methode erfordern, gelöst ist sie gleichwohl in beiden Fällen. Diesem methodischen Verfahren in der Betrachtung der großen metaphysischen Wirklichkeiten dankt Balzacs reuvre die Universalität, und sie kann an andern (gleichsam geometrischen) Maßstäben gemessen als Nicht-Tiefe (das heißt nicht: Untiefe oder Oberflächlichkeit) erscheinen. MALEREI UND GRAPHIK Ein Bild will senkrecht vor dem Beschauer gehalten sein. Ein Mosaik am Fußboden liegt waagerecht zu seinen Füßen. Man pflegt, was diesen Unterschied angeht, Graphik ohne weiteres wie ein Gemälde zu betrachten. Doch ist es eine sehr wichtige und weitgreifende Unterscheidung, die in der Graphik zu machen ist: man wird einen Studienkopf, eine Rembrandtsche Landschaft nach Art eines Gemäldes betrachten dürfen oder bestenfalls in einer neutral waagerechten Lage diese Blätter belassen. Dagegen betrachte man Kinderzeichnungen. Es wird zumeist gegen deren inneren Sinn verstoßen, sie senkrecht vor sich hinzustellen, ebenso nehme man Zeichnungen von Otto nicht durch dasjenige. der Querschnitt symbolisch: er enthält die Zeichen. Kandinskys Bilder: Zusammenfallen von Besmwörung und Erscheinung. Der Längsschnitt smeint darstellend zu sein. Es ist nämlich der graphischen Linie ihr Untergrund zugeordnet. er enthält irgendwie die Dinge. Die graphische Linie bezeichnet die Fläche und bestimmt damit diese indem sie sie sich selbst als ihrem Untergrund zuordnet. etwa in Stein gehauen? Dabei kommt es natürlim nicht einfach auf den bloßen äußeren Befund an. e) Die graphische Linie. Die graphische Linie ist durch den Gegensatz zur Fläche bestimmt. h. sondern auf den Geist: ob das Problem auf dem einfachen Satz aufzubauen ist. daß das Bild senkrecht.Balzac . was sie etwa darstellt. und gibt es etwa als ursprüngliche Lage der Schriß: aueh eine vertikale. Oder aber ist es nur unserm Lesen so. man muß sie horizontal auf den Tism legen. die Linie des Schriß:zeichens. dieser Gegensatz hat bei ihr nicht etwa nur visuelle sondern metaphysische Bedeutung. a). obwohl dies in wechselnden metaphysischen Beziehungen durm die Zeiten zu verfolgen ist. ÜBER DIE MALEREI ODER ZEICHEN UND MAL A. Man könnte von zwei Smnitten durm die Weltsubstanz reden: der Längssmnitt der Malerei und der Querschnitt gewisser Graphiken. daß wir die Seite waagerecht vor uns legen. die graphische Linie. die sich durch die wechselnde Bedeutung die in ihnen die Linie hat charakterisieren. Hier liegt ein ganz tiefes Problem der Kunst und ihrer mythismen Verwurzelung vor. das Zeichen waagerecht liege. Solche Bedeutungen sind: die Linie der Geometrie. Malerei und Graphik . Umgekehrt gibt es auch eine graphische Linie nur auf diesem Unter- . über die Malerei Groß. die Linie des absoluten Zeichens (die als solche. Das Zeichen Die Sphäre des Zeichens um faßt verschiedene Gebiete. d. magische Linie). b) Die Linie der Geometrie und der Schriß:zeichen bleiben in diesem Zusammenhang unberücksichtigt. mit der nötigen Zurückhaltung kann man aus diesen Fällen vermuten. daß das absolute Zeichen vorwiegend räumliche und personale Bedeutung hat. für den Sinn der Zeichnung unerläßliche Stelle angewiesen. auf der sie sich befindet und der sie sogar wahrscheinlich abzusprechen wäre. das mythologische Wesen des Zeichens zu verstehen. sodaß beispielsweise eine Zeichnung. Um das absolute Zeichen. müßte man über die eingangs erwähnte Sphäre des Zeichens überhaupt etwas wissen. daß sie ihn als weißer Farbgrund »ausspart«. bei der die Verschiedenheit zwischen graphischer und geometrischer Linie besonders klar hervortritt. sondern stellt eine uns höchstwahrscheinlich zur Zeit gänzlich unbekannte Ordnung dar. Die Identität. daß unter Umständen die Darstellung von Wolken und Himmel auf Zeichnungen gefährlich und bisweilen Prüfstein der Reinheit ihres Stils sein könnte. welche der Untergrund einer Zeichnung hat. . Absolute Zeichen sind: z. Jedenfalls ist diese Sphäre wahrscheinlich kein Medium. Diesen Gegensatz. aufhören würde eine solche zu sein. B. ist eine ganz andere als die derjenigen weißen Papierfläche. h. das Mal (wie sich ergeben wird) mehr zeitliche und das Personale geradezu ausstoßende Bedeutung zu haben. d. hätte man erst zu suchen. übrigens eine Erscheinung. das Zeichen mit dem bei der zehnten Plage in Agypten die Häuser der Israeliten bezeichnet waren. sodaß innerhalb der Graphik zwei Linien nur relativ zu ihrem Untergrunde auch ihre Beziehung zueinander bestimmen können. Auffallend ist aber der Gegensatz der Natur des absoluten Zeichens zu der des absoluten Mals. daraus erhellt.Asthetische Fragmente grunde. der metaphysisch von ungeheurer Wichtigkeit ist. wollte man sie als ein Gewoge (eventuell mit bloßem Auge nicht unterscheidbarer) weißer Farbwellen auffassen. die ihren Untergrund restlos bedecken würde.. das vermutlich ähnliche Zeichen in Ali Baba und den vierzig Räubern. das Kainszeichen. Das Zeichen scheint mehr ausgesprochen räumliche Relation und mehr Beziehung auf die Person. Damit ist dem Untergrund eine bestimmte. Die graphische Linie verleiht ihrem Untergrunde Identität. d) Das absolute Zeichen. Die reine Zeichnung wird die graphisch sinngebende Funktion ihres Untergrundes nicht dadurch alterieren. . Insofern der Zusammenhang von Schuld und Sühne ein zeitlich magischer ist. wie es besonders im Erröten ganz erschütternd hervortritt. und ist im Erscheinen nichts anderem ähnlich. ja selbst wo das Mal an Leblosem erscheint (Sonnenkringel in Strindbergs »Advent«) ist es oft mahnendes Zeichen der Schuld. wie erwähnt. Bäumen aufgeprägt wird. Was die Sphäre des Mals überhaupt (d. sondern auch leblosen Gebäuden. d. das Medium des Mals überhaupt) angeht. In diesem Sinne erscheint es aber zugleich mit dem Zeichen (Belsazar) und das Ungeheure der Erscheinung beruht zum großen Teil auf der nur Gott zuzuschreibenden Vereinigung dieser beiden Gebilde. Sofern sich über die Natur des absoluten Mals. Ganz auffallend ist wie das Mal gemäß seinem Auftreten am Lebendigen so oft mit Schuld (Erröten) bzw. Doch hat das Medium des Mals nicht allein diese zeitliche Bedeutung. vielleicht der Aussatz. Dies weist darauf hin. Dies führt wiederum auf den Zusammenhang zwischen Mal und Schuld. Das Zeichen aber erscheint nicht selten als ein die Person auszeichnendes und auch dieser Gegensatz zwischen Zeichen und Mal scheint der metaphysischen Ordnung anzugehören. ist das von Wichtigkeit für die ganze Sphäre des Mals im Gegensatz zu der des Zeichens. so wird das einzige was in diesem Zusammenhang darüber erkannt werden kann nach der Betrachtung der Malerei gesagt werden. Das Mal a) Das absolute Mal. i.über die Malerei oder Zeichen und Mal B. Erröten. daß die Sphäre des Mals die eines Mediums ist. etwas ausmachen läßt. Den Gegensatz zwischen Mal und absolutem Mal gibt es nicht. Doch ist. über das mythische Wesen des Mals. denn das Mal ist immer absolut. daß das Zeichen aufgedrückt wird. eine die Persönlichkeit in gewisse Urelemente auflösende. sondern zugleich auch. h. daß der Widerstand der Gegenwart zwischen Vergangenheit und Zukunft ausgeschaltet wird und diese auf magische Weise vereint über den Sünder hereinbrechen. erscheint das Mal vorzüglich am Lebendigen (Wundmale Christi. erscheint vorzüglich diese zeitliche Magie im Mal in dem Sinne. das Mal dagegen hervortritt. Hier ist nun der erste fundamentale Unterschied darin zu sehen. Während das absolute Zeichen nicht vorwiegend am Lebendigen erscheint. Muttermal). Unschuld (Wundmale Christi) verbunden ist. Bäumen. und zwar indem es benannt wird. denn die Malerei ist ein Medium. und weiter. ein solches Mal. so wäre eben damit es ganz unmöglich. eben dadurch aber erstaunen muß. Diese Frage ist aber sinnlos. Das Problem des malerischen Gebildes ergibt sich erst dem. Dieser Irrtum kommt zum Teil aus der ästhetischen Verwertung der rein technischen Tatsache. erhellt aus folgendem: wäre das Bild nur Mal. da sie weder Untergrund noch graphische Linie kennt. insofern es Mal ist. wenn auch gefärbt. Die gegenseitige Begrenzung der Farbflächen (Komposition) auf einem Raffaelschen Bilde beruht nicht auf der graphischen Linie. in dem Linie und Farbe sich zusammenfinden. im Bilde Komposition vorzufinden. daß Maler vor dem Malen ihre Bilder zeichnerisch komponieren. ob eine Farbe die untergründigste oder die vordergründigste ist. auf dem die Konturen des Stiftes sichtbar und die Farbe durchsichtig aufgetragen ist. die er doch nicht auf Graphik zurückführen kann. Das Medium der Malerei wird bezeichnet als das Mal im enge rn Sinne. ist das getuschte Bild. und umgekehrt daß das Mal im enge rn Sinne nur im Bild sei. Nun ist aber das eigentliche Problem der Malerei in dem Satze zu finden. daß beispielsweise der Beschauer eines Raffaelschen Bildes nicht nur zufällig oder aus Versehen Konfigurationen von Menschen. auf etwas. sondern erscheint höchstens im Medium derselben. daß das Bild zwar Mal sei. Der Untergrund ist dort. Auch liegt eine Farbe nie auf der andern auf. Der einzige Fall. das nicht Mal ist.606 Asthetische Fragmente Alles was vom absoluten Mal gilt von großer Bedeutung für das Medium des Mals überhaupt. Es gibt in der Malerei keinen Untergrund. erhalten. prinzipiell betrachtet. d. Daß nun aber das Vorhandensein einer solchen Komposition nicht ein Schein ist. b) Die Malerei. daß das Bild. der sich über die Natur des Mals im engeren Sinne klar ist. nur im Bild selber Mal sei. und es gibt in ihr keine graphische Linie. aber: daß andrerseits das Bild auf etwas das es nicht selbst ist. Diese Beziehung . und so könnte man. es zu benennen. bei manchen Gemälden gar nicht unterscheiden. bezogen werde. Tieren im Mal vorfindet. Auch das läßt sich vielleicht oft gar nicht ausmachen. Das Bild hat keinen Untergrund. h. Das Wesen solcher Komposition hat aber mit Graphik gar nichts zu tun. unsichtbar als ein solches. welches Wort und in welches Mal es eintritt. darin in ihrer Neutralität verharrend. die Benennung maßgebend. nur in der Komposition sich offenbarend. wovon wir uns aber gar keine Vorstellung machen können. Die großen Epochen in der Malerei unterscheiden sich nach Komposition und Medium. welche. Selbstverständlich handelt es sich hier bei Mal und Wort nicht um die Möglichkeit beliebiger Kombinationen. von der es wohl noch kaum die Anfänge gibt. Transzendente. sondern verwandt ist. Ein Bild jedoch. d. Diese ist der Eintritt einer höhern Macht in das Medium des Mals. überhaupt aber ist der metaphysische Ort einer Malerschule und eines Gemäldes nach Art des Mals und Wortes zu bestimmen und setzt also zum wenigsten eine ausgebildete Unterscheidung der Arten des Mals und des Wortes voraus. keineswegs durch Graphik das Mal sprengend. c) Das Mal im Raum. Vor allem erscheinen sie nämlich als Totenoder Grabmale. Das Bild wird nach der Komposition benannt. daß in den Gemäl~ den eines Raffael vorwiegend der Name. auf das dem Male . h. danach. in welcher Art aber muß gen au er Untersuchung vorbehalten bleiben. das dies nicht täte. von denen aber im genauen Sinn natürlich nur architektonisch und plastisch ungeformte Gebilde Mäler sind. in den Gemälden der heutigen Maler etwa das richtende Wort in das Mal eingegangen sei. jedoch ihm nicht feindlich.über die Malerei oder Zeichen und Mal auf das. das sich im Medium der malerischen Sprache. Diese Macht ist das sprachliche Wort. leistet die Komposition. wonach das Bild benannt wird. . Die Sphäre des Mals tritt auch in räumlichen Gebilden auf. Für die Erkenntnis des Zusammenhanges des Bildes mit dem Wort ist die Komposition. nieder läßt. würde aufhören ein solches zu sein und nun freilich mit in das Medium des Mals überhaupt eintreten. Beispielsweise wäre es wohl denkbar. i. Solche Mäler im Raum hängen schon sichtlich durch die Bedeutung mit der Sphäre des Mals zusammen. d. weil sie zwar unermeßlich höher als dies Mal. Mit dem Gesagten versteht es sich von selbst. in demselben eben deshalb ihren Platz ohne es zu sprengen findet. welches auf Benennbarkeit Anspruch macht. wie auch das Zeichen in einer gewissen Funktion der Linie zweifellos architektonische Bedeutung (und also auch räumliche) hat. daß Mal und Komposition Elemente jedes Bildes sind.